100 miles of Istria

100 miles of Istria

oder

die Geschichte einer zarten Fehleinschätzung ……

Ein „Lauf“-Bericht über die Teilnahme am einem 100 Meilen-Event:

Es war einmal, vor genau 2 Jahren ….

 Ein Versuch.

 Ein Versuch, 100 Meilen (168 km) mit ca. 6500 Hm zu laufen. Quer über die Halbinsel Istrien, von Ost nach West, mit vielen Schlaufen, hin und her und rauf und runter. Die ersten 50 km bis in die Nacht waren damals auch in Ordnung. Bis der Protagonist über einen Stein abrutschte und voll ins gestreckte Knie fiel. Aus Maus. DNF.

 Und da komm jetzt ich ins Spiel. Weil der Protagonist war ich.

 Dieser DNF hat sich damals in meinem Hirn eingenistet. Als kleines Gespenst.

Ich kenne das Gefühl, Bewerbe nicht zu finishen, immerhin sind meine Abenteuer auch keine Spaziergänge, aber der tat irgendwie „anders“ weh. Wahrscheinlich, weil es mein erster 100-Meiler hätte werden sollen.

 Die Zeit verging, alles andere als langweilig. Mehr als genug andere Events wurden alleine oder inzwischen vermehrt mit meiner Frau erfolgreich bestritten. Es gab keinen Bedarf, an diesen DNF zu denken.

 Dann kam die Jahresplanung 2019. So im November des Vorjahres. Wie immer wurden die Favoriten und alles sonst noch Interessante in eine Übersicht eingetragen und im Anschluss selektiert und gelichtet, bis halt ein überschaubarer Rahmen überbleibt.

 „Schaut gut aus, das Jahr“, dachte ich. „Nur im April etwas mager , aber sonst …“

 April? *grins*

 Rein ins Internetz, Daten, Fakten, Osterurlaub, …. He, perfetto, wie die Griechen sagen!

 Vorerst mal stillschweigen. Im März war ein knallharter 50k+ OCR geplant, der war mal wegzustecken. Und der hat sich auch zu einem Höllenritt entwickelt. Aber das ist eine andere Geschichte.

 Anfang März war klar: Ich versuche am 12. April nochmals die „100 miles of Istria“.

 Startplatz gesichert, Quartier gesucht/gebucht, Trainingsplan angepasst, beruflich/privat alles für diesen Termin angepasst. Check.

 

Es war soweit.

 Das „Renn“-Wochenende stand bevor. Donnerstag war Anreisetag, ziemlich genau 1600 Uhr war ich in UMAG, die Stadt, wo mein Quartier, das Wettkampfzentrum (WKZ) und das Ziel des Laufes war.

Ich bin gleich zur Registrierung, um den ganzen Papierkram zu erledigen und Stimmung zu schnuppern, ein für mich sehr wichtiger Teil eines Abenteuers.

  

Danach zum Quartier, ein kleines Apartment, ca. 1,5 km vom Ziel entfernt.

Und nachdem ich mich dort breit gemacht hab, natürlich weiter zum Kohlehydrate bunkern. Keine 100 m neben meinem Unterschlupf war ein ausgezeichnetes Lokal, wo ich vorzüglich schlemmen konnte. Danach schlafen, tief und fest.

 

 Der nächste Tag, Renntag.

 Der Veranstalter hatte auf der homepage einen aktuellen Wetterbericht für die nächsten Tage raus gegeben, der verhieß aber nix Gutes. Kalt, Wind, Regen. Also alles, was für einen Viel-Stünder gebraucht wird.

Hmm …

 „Rucksack noch mal überarbeiten“, war meine Überlegung. Im Endeffekt hab ich ihn noch mal komplett zerlegt und neu aufgebaut. Auch meine aktuelle Bekleidung wurde noch mal nachjustiert. Im Nachhinein gesehen, eine sensationelle Entscheidung. Jaja, der Beruf bringt auch privat was …

Um 1300 Uhr fuhren die insgesamt 7 Busse über 2 Stunden mit uns Startern vom WKZ nach LABIN. Der Start befand sich in der Altstadt Labin’s, gebaut auf einem markanten Hügel knapp an der Ostküste Istriens. Da regnete es bereits und ein eiskalter Wind pfiff uns um die Ohren. Dieser Umstand zwang uns schon das erste Mal in die Regenkleidung. Obwohl keine Stunde mehr bis zum Start, war der Hauptplatz fast leer, der Moderator bemühte sich redlich, aber so richtig Stimmung konnte er keine schaffen. Das momentane Ziel der Starter war warm und trocken bleiben, so verkrochen wir uns in Gassen, Nischen, Lokalen.

20 Minuten vor dem Start klarte es auf, es war zwar noch resch und windig, aber die Motivation war nun da, der Platz füllte sich und die Stimmung stieg. Ich war mit meiner mehrschichtigen Bekleidung zufrieden, aber grinsen musste ich über manche Läufer, die mit kurzem Höschen frierend umherhüpften und so dem Eistod entkommen wollten.

Um genau 1600 Uhr war Start. Megastimmung und bei mir Gänsehaut-feeling. So weit war ich vor 2 Jahren ja schon, da war’s auch schon so.

Knapp 400 Starter über die Ultra-Langdistanz rollten gemütlich los, bis auf die Profis und die „Mitgerissenen“, die sofort Stoff gaben. Sollnse, is ihr Rennen.

Ich stand beim Start sowieso fast ganz hinten, da wirkt das Geschehen einfach besser, da wird vielsprachig gescherzt, gerufen und schon gefeiert.

 

Die ersten paar km ging es fast nur bergab Richtung Meer, mal breit und asphaltiert, mal schmale rutschige Single-Trails. Es war schon von Beginn an gatschig und rutschig, es hatte die Nacht davor ja ergiebig geregnet. Aber bei unserem Tempo weit hinten wuascht.

Danach ging es dem Meer entlang, da wars sogar warm, dann durch ein Feriendorf, recht steil rauf, da wurde es sogar noch wärmer (aber von innen). Es hatte sich eine illustre Runde mit gleichem Tempo gebildet, alle möglichen Staaten, dabei ein Amerikaner, der im Kilt und mit Sandalen lief. Ganze Zeit hatte er was zu erzählen, über seine Ultras, seine Sandalen und so weiter. Sein Englisch verstand ich „very well“, da verging die Zeit recht flott.

Es ging gleich mal 500 Hm bergauf, bis über einen großen Rücken, wo leider der Wind wieder empfindlich blies. Es war bis jetzt ein mehrfaches „Jacke aus, Jacke an“, das würde uns aber weiterhin während des gesamten Bewerbes blühen. Das wussten wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. Jedenfalls verhieß der Blick in die Ferne nix Gutes.

Vom Rücken ging’s runter nach PLOMIN LUKA zum ersten Checkpoint (CP). 14,4 km erledigt.

Ab da, das sah ich am Streckenprofil, das ich bei mir hatte, wurde es ernst. Bis jetzt war’s ne Aufwärmübung. Der nächst Abschnitt war nur rund 10 km lang, aber dafür über 800 Hm. Und die dunkle Luft wird während dessen auch kommen. So war es auch, der Wind frischte nochmals auf und zerrte an meiner Regenjacke, so böig, dass es mich ein paar mal fast umschmiss. Ich hatte genug an, aber ich sah die ersten Läufer in Ermangelung von ordentlichem Windschutz leiden.

Die Nacht begann. Leichter Regen und starker Wind vermischten sich mit schnell fallender Temperatur. Ich erreichte CP  PRODOL, wo schon die ersten Läufer mit umgehängter Aludecke nah am Feuer standen und zitterten.

Im nächsten Abschnitt (16 km/1000 Hm) lag der höchste Punkt der Reise, ein elendiglich langer ausgesetzter Rücken mit Namen Krzlfz (oder so).

 

Wisst ihr eigentlich, wann es das letzte mal im April auf Istrien geschneit hat?

Ich schon. Heute.

Unglaublich, ungefähr Mitternacht fiel der erste Schnee! Zuerst zaghaft im Regen erkennbar, aber er blieb liegen, dann immer mehr und es entwickelte sich eine Schlacht mit einem Schneesturm. Ich als Ösi hab mit Schnee weniger Probleme, wenn gleich er da zur falschen Zeit am falschen Ort war. Aber ich sah Läufer, die richtig Schwierigkeiten hatten und litten. Der Schnee war nass und schmierig, die Trittstufen rauf und runter glatt. Ein Eiertanz, im inzwischen dichten Schneesturm war fast nix zu erkennen, leider auch fast nicht mehr die Streckenmarkierung, nur ab und zu vor mir Gliedmaßen, die es in die Luft riss. Und die Stirnlampe erzeugte ein wunderbares whiteout.

Wie ich später erfuhr, war zu diesem Zeitpunkt auch schon mein beschlapfter Freund aus USA aus dem Rennen.

Während diesem Streckenabschnitt stießen auch die Läufer des 110 km Bewerbes zu uns auf die Strecke, sie hatten ihren Start hier in der Nähe, also erst wenige km in den Beinen, das ließen sie uns 100 Meiler auch deutlich spüren, die rannten uns förmlich im Breitkeil um die Ohren.

Ich erreichte gegen ein Uhr in der Nacht POKLON, ein CP mit cut off. Aber kein Problem, Zeit genug.

Im nächsten, ca. 15 km langen Abschnitt ging es, inzwischen ohne Schnee und Regen, rutschig und wellig mehr runter als rauf, die Schwierigkeit war die Uhrzeit und die Müdigkeit. Wennst wie besoffen torkelnd durch den Wald läufst, weilst beim gehen fast einschläfst …. Brrrr…

Aber CP BRGUDAC wurde von mir erreicht, hier musste ich vor 2 Jahren verletzt ausgesteigen. Aber Yeahhh, heut geht’s mir gut! Ich war aufgedreht und riss meine Späßchen (der Blick der Helfer, wennst bei ihnen ein Steak medium, Pommes und ein großes Bier bestellst, ist unbezahlbar. Funktioniert jedes Mal …)

 

Und weiter ging es, ich wollte eigentlich nicht zu lange bei den CP mit den Labestationen bleiben. In „Bewegung bleiben“ war mir wichtiger.

Als (mir) der Morgen graute, war die Müdigkeit weggeblasen, die Landschaft war abwechslungsreich und die über 17 km und somit längste Etappe zog sich mit über 900 Hm auf und ab sehr zäh dahin, mehrmals kam ich bei den einzelnen Spitzen wieder in den Schnee, der aber zuminderst nicht mehr von oben nachfiel.

 Es folgte der CP TRSTENIK, kurze Pause, und weiter ging die Strecke noch mal rauf auf über 1000 m Seehöhe, um dann fast durchgehend 1000 Hm runter zum großen CP BUZET zu verlaufen, wo dein Spares bag mit frischen Sachen auf dich wartet.

Dieser CP ist ein Marker auf der ganzen Strecke, man hat knapp mehr als den halben Trail hinter sich, beträchtlich mehr als die halben Hm und mit dem Gebirgsrücken und den darauf folgenden Hügeln die höchsten Punkte der Reise und den Großteil der schwierigen Wegführungen geschafft.

BUZET. Eine große Sporthalle, umfunktioniert zum Luxus-Palast für Läufer. Trocken und warm. Mit warmen Essen und Trinken, Schlafplatzen in extra Räumen, sogar Duschen, wenn’s wer braucht. Wellness für den geschundenen Körper.

 Ich hatte einen guten Vormittag, mir tat außer ein „burning ring of fire“ nix weh, fühlte mich körperlich nicht müde und hatte über 90 Minuten Vorsprung zum cut off. Beim Ankommen hatte ich noch den Entschluß, eine lange, ergiebige Pause mit allem Pipapo zu machen.

 Aber als ich mir die warmen Sugonudeln und ordentlich Trinken reingeballert hatte, mir meinen Popsch mit Zinksalbe löschte und gerade in meinem Bag wühlte, entschloß ich, auf ne lange Pause zu pfeifen, meinen vor dem Rennen perfide ausgeheckten Schuh-Plan umzusetzen und durchzustarten. Hehehe …

So füllte ich meinen Rucksack wieder auf, zog mir meine frischen Schuhe an, das gebrauchte Klump wanderte in den Sack, den ich wieder abgab und verließ mit einem Liedchen auf den Lippen (nee, aus dem MP3-Player) BUZET in Richtung HUM, mit 12 km und 400 Hm eine ruhige Etappe.

Flach entlang eines Flussbettes, in der warmen Sonne mit Ausblick auf die rundum liegenden Hügeln fühlte ich mich richtig gut.

Die frischen Schuhe taten genau das, was sie sollten. Sie umschmiegten meine müden Füße und schonten sie mit neuer Dämpfung. Hach, was war ich schlau, in der 2. Hälfte mit wenig Hm und vielen flachen, harten Wegen auf super tolle und weiche Marathon-Straßenschuhe zu wechseln.

 

Nach einigen km flach folgte ein kürzerer Anstieg in das Tal, aus dem der Fluß kam. Der Weg wurde „rumpeliger“, aber ging noch. Dann folgte eine breite Furt, die mit ….

 

Was? Eine Furt? Fuck! Na gut. Schuhe aus. Kompressionssocken? In die komm ich nass nie wieder! Zähneknirschend, nur mit Socken, die sauber und trockenen Schuhchen in der Hand rein ins Wasser. Grmbl …!

 Es ist ein ekelhaftes Gefühl, mit triefenden Socken in trockene Schuhe zu schlüpfen. Widerwärtig.

 Naja, soll nix schlimmeres kommen.

 Nur der Weg. Irgendwie wird der immer graußlicher. Also, mit Straßenlaufschuhen. Loses Karstgeröll, rutschig gelegen in tiefen Fahrspuren. Nix gerades zum steigen, du rutscht hin und her, vor und zurück, irgendwie kein Halt. Und dann die nächste Furt. Na geh …

Wieder loses Geröll, diesmal kombiniert mit Hm. Was? Noch ne Furt? Dann wellig eine enge Fahrspur (aber nur für hardcore Geländefahrzeuge!) entlang des inzwischen zur Klamm gewordenen „netten Fluss“ immer nach oben. Das ging einige km so.

 Endlich oben, endlich weg von dem Drecksweg bei der Klamm. Endlich diese Art Weg, die ich eigentlich erwartet hatte. Eine Straße. Grins. „Aber jetzt, meine Freunde“ dachte ich „spiele ich meine Trumpf aus!“

Läppische 3 km. Dann bog die Markierung in einen engen, mit Stock und Stein bewehrten Graben ein.

 So, jetzt war es soweit. Ich spürte auf der rechten Fußsohle ein Brennen und Schieben. Die erste Blase meldete sich!

 

 Jetzt, werte Leser, komme ich zur Erklärung des Zweit-Titels „ die Geschichte einer zarten Fehleinschätzung“.

 Schon vor 2 Jahren, wie auch heuer hatte ich im Vorfeld versucht, die Strecke zu analysieren.

Mir war auf den vielen Fotos und Videos aufgefallen, das die Strecke der 2. Hälfte auf besagten Videos/Fotos fast nur aus befestigter Straße, zuminderst harten Feldwegen besteht.

Da ich aus leidiger Erfahrung mit Trailschuhen auf langen harten Passagen nur Schwierigkeiten bekomme, muß ich im Umkehrschluß was tun? Richtig, auf Straßenlaufschuhe wechseln. Was ich in BUZET eben auch tat.

 

Nur ….

 

Diese Fotos/Videos sind auf einigen wenigen hotspots geschossen und gefilmt worden. Die Unmengen an Strecken-km dazwischen bestehen aus richtig grauslichen Trails, rutschig, steinig, mit losem Karstgeröll oder tiefen ausgeschwemmten Spuren. Also eben genau solchen Bedingungen, für die gute Trailschuhe halt gemacht sind.

 WENN MAN WELCHE AN HAT! Hatte ich aber nicht!

 Da war ich mit meinen Sommerschuhchen aber so was von Fehl am Platz!

Das mir auch beinhart gezeigt wurde, in dem innerhalb kurzer Zeit an beiden Füßen eine große Blase nach der anderen aufpoppte. Sch…ße!

 

Ich erreichte und durchlief CP HUM. Zähneknirschend. Natürlich war hier Steinboden, war ja auch ein Fotopoint.

Es folgte eine über 16 km lange wellige Etappe, mehr runter als rauf. Aber wenn rauf, dann … na was wohl: sehr steil und rumpelig. Runter auch viel Geröll, aber auch wenn ebener Grund, taten die Blasen trotzdem schon weh.

 Nur ja in keine Schonhaltung. Rein in den Schmerz. Aufpassen beim aufsteigen, jeder Schritt muss beurteilt werden. So kann auch Zeit vergehen.

 

 

Den CP BUTONIGA, ein rießiger Stausee, erreichte ich kurz nach Beginn der 2. Nacht. Ich hatte mich mit der Situation arrangiert, hatte mein Zeitguthaben auf 3 Stunden ausgebaut.

Wieder nur kurze Pause, weiter. 11 km und 700 Hm für die nächste Etappe. Läppisch.

Da kam aber so Richtung Mitternacht der nächste Faktor zu tragen. Die Müdigkeit. Die Strecke ging markant rauf und runter, fast durchgehend schlechte Wege. Der eingeschränkte Lichtkegel, der inzwischen deine ganze Welt ist, die versuchte Konzentration bei deinen Schritten und die Monotonie sind nicht dein Freund.

 Ich ertappte mich mehrmals dabei, beim gehen einzuschlafen. Das blödeste Erlebnis war: Ich ging auf einem breiteren Weg schräg zum Hang und leicht bergauf. Auf der Hangseite. Plötzlich riss es mich. Ich erkannte, das ich auf der Talseite zum Abgrund stand. Ich war eingeschlafen und bin ganz einfach einen Bogen gegangen.

 Ich hatte mich dermaßen erschreckt, ich war für die nächste Zeit munter. Und zum Glück erreichte ich kurz danach den CP MOTOVUN.

 

Ich ging in das Großzelt, wurde registriert, sah im Hintergrund Liegen stehen und beschloss, mir eine Auszeit zu nehmen. 1 Stunde. Das würde reichen.

 Ich aß und trank schnell was, machte es mir auf einer der Liegen direkt unter einem Heizstrahler bequem und versuchte einzuschlafen.

Nee, ned so schnell. Zuerst muss sich mal der Körper auf die Situation „Nixtun“ einstellen. Mit Zittern. Aber so richtig. Der arbeitet erst mal alles ab, was sich so an Stress für ihn in den letzten vielen Stunden angesammelt hat. Das dauert.

Hab ihm halt lassen, er weis schon, was er tut. Dann knipste er mich aus.

 Nach insgesamt 1 Stunde auf der Liege weckte mich einer der Samariter. War witziger Weise gar kein Problem, ich war sofort hell wach und fühlte mich richtig gut und ausgeschlafen. Offensichtlich hatte ich den richtigen Zeitpunkt erwischt.

 

Aufstehen. „Aahh!“, schnell hinsetzen, schei* Blasen, vorsichtig aufstehen, ein wenig herumtaumeln, bis sich der Körper an den Schmerz in den Schuhen wieder gewöhnt hat, anziehen, scherzen, essen, trinken, das alles lief gut.

 Ich marschierte ab in Richtung nächsten CP, eine kurze Etappe mit weniger als 8 km, dafür aber 400 Hm bergauf. Ganz langsam kam ich in die Gänge, der Schlaf war wichtig und genau richtig, die Blasen schmerzten, aber ich rollte. Von laufen war schon lange keine Rede mehr.

 

Den CP OPRTALJ erreichte ich zu einer für mich befriedigenden Zeit, na sieh mal, da gibt’s ja Sanitäter! Hmm, die Blasen drücken ganz schön, ach was, he du, junge kroatische Sanitäterin, kannst du mir meine Blasen machen? Was heißt eigentlich Blasen im englischen?

„water under skin“ war in dem Moment das einfachste, andere Versionen fielen mir zwar auch ein, die waren aber definitiv nicht richtig, weil nicht jugendfrei.

 So nett die Sanitäterin auch war, das unnötig lange Herumdrücken und Quetschen auf den Blasen war äußerst schmerzhaft. Ich leierte ihr noch Verband heraus, sie hätte die Blasen einfach offen gelassen. Das schwierigste an Allem war aber das Anziehen der Comp-Socken, über die geschwollenen Füße und die Verbände drüber. Mann, war das mühsam. Mein Beurteilungsfehler rächte sich massiv, der lachte mich förmlich aus!

 Da ich durch die „Behandlung“ viel Zeit verloren hatte, hielt ich mich bei der Labe nur sehr kurz auf, füllte meine Bestände auf und ging weiter. Nein, humpelte. Das mit der Behandlung war keine gute Idee. Jetzt konnte die Haut auf den Blasen ungehindert hin- und her wetzten. Shit. Noch dazu ging’s gleich mal im nassen Gras über eine rutschige Wiese schräg bergab los, genau da hab ich in meinen Schuhen den wenigsten Halt. Und das zeigten sie mir. Quietschend. Es klang fast wie ein leises verhöhnen , wenn man genau hinhört …

 

Wieder an den Schmerz gewöhnt, versuchte ich leicht Tempo zu machen. Es begann in der Ferne hell zu werden, die Vögel zwitscherten und der Tag erwachte. Und damit auch wieder meine Lebensgeister und die Motivation. Irgendwo im Wald sah ich die Tafel „30 km“ hängen. Die klopf ich jetzt aber auch noch auf einer Arschbacke runter!

 Auf der Strecke wurde es hell und die Ausblicke wurden weit. Jetzt sah man viel Gegend, die vielen kleinen Dörfer auf den Hügeln, einige davon wurden erwandert. Durch Weingärten und Olivenplantagen. Einfach Kroatien, genauso, wie ich es gern hab.

Ein italienisches Läufer-Pärchen fragte mich hektisch nach powershots, sie müssten noch mal so richtig Gas geben. Es ist noch so weit und sie haben so wenig Zeit.

Das wir grad bei der 25 km-Tafel vorbeikamen und ein Blick auf meine Uhr verriet, das noch 8 Stunden Zeit war, konnten oder wollten sie rechnerisch nicht umsetzen und hudelten hektisch davon. Mir wurscht. Ich war mir meines Finish recht sicher.

 

Ich kam zum CP GROZNJAN, ein auf einem Hügel gelegenes riesiges Weingut. Auch dort gabs kein Steak, nur verwirrte Gesichter. Ich liebe diesen Schmäh.

 Von da waren es nur mehr 20 km. Ich ging gleichzeitig mit einem Asiaten los, mit dem ich in ein angeregtes englisches Hand/Fuß-Gespräch kam. Ein recht witziger Kerl aus Singapur, auf der ganzen Welt bei Ultras unterwegs, eben auch schon mehrfach in Europa. Hat richtig Spaß gemacht, so viel Spaß, das wir bei einer Kreuzung einfach geradeaus gegangen sind, obwohl die Markierung mehr als deutlich nach links schrie. Ein nachkommender Läufer in Rufweite pfiff uns gerade noch zurück. Ein Klassiker.

Die Strecke fiel gemäß dem Streckenplan eigentlich nur mehr bergab. Sanft, auch auf Rumpelwegen, aber doch gleichmäßig. Mein temporärer Trailbuddy fiel langsam, aber merkbar zurück, er hatte „Knie“.

So löste ich mich von ihm und fiel wieder in meinen Rhythmus, der mir eigentlich ganz gut gelang.

 

BUJE. Eine kleine Stadt auf einer großen Kuppe, im dessen Zentrum der CP mit Labe. Asphalt. Ich versuchte zu laufen, zwar langsam, aber ich konnte es. Noch knapp 13 km bis ins Ziel. Ich war euphorisch, nach 2 Nächten noch laufen zu können, posaunte in den Äther „JA, ich funktioniere noch!“ und beschloss, bis ins Ziel zu laufen.

 Bis nach 200 m der Strecke die Markierung jäh in einen höllischen, breiten und ewig langen Schuttweg abbog. Schluss mit Lauf, Willkommen Leiden. Dauert wohl doch noch etwas länger ….

 Danach knöcheltiefe Gatschpassagen, Karststeintrails und ganz schmale Lehmwege, der Traum jedes Trailschuhs.

 

Hab ich schon erzählt, dass ich die falschen Schuhe anhab?

 

Die Tafel „10 km“ war schon länger durch, die Strecke veränderte sich zwar nicht, wurde aber immer flacher und ging neben Äckern und Weingärten vorbei. Es folgten 5, 4, 3 km, ich konnte schon UMAG, das Ziel, erkennen. Es war windig, rundherum sah man einige Regenstreifen vom Himmel fallen.

Ich telefonierte mit meiner Frau (das tat ich während der ganzen Tour mehrfach). Wir unterhielten sich angeregt, war das Ende doch schon greifbar nahe. Ich ging entlang eines Baches, sah vor mir eine Brücke, an dessen Geländer ein großes Tuch mit vermutlich italienischen Anfeuerungen für einen Läufer hing. Die Markierung ging über die Brücke, ich folgte einem breiten Feldweg, es begann zu regnen.

„Tschüß, Maus“, Jacke raus, anziehen, rumwurschteln, weitermarschieren. Nach einiger Zeit komm ich zu einer großen T-Kreuzung, schaue, sehe aber keine Markierungen, dreh mich mehrmals im Kreis, nee, nix da.

 Verdammt, ich bin falsch, aber seit wann? Hilft nix, ich muss zurück. Dann geh ich mal … Ähh, von wo bin ich denn gekommen? Fuck! Ich bin so müde, durch das im Kreis drehen hab ich sogar die Orientierung verloren, von welcher Seite ich überhaupt gekommen bin!

 Es dauert, da seh ich in der Ferne, mehrere 100 m weg, ganz klein das weiße Tuch an der Brücke hängen! Jetzt kenn ich wenigstens die Richtung. Ich gehe zurück und erkenne, ich hätte bei genau der besagten Brücke unmittelbar danach scharf recht am Damm weiter müssen! Kopfschütteln. 2 km vor dem Ziel einen Kilometer Sonderprüfung!

 Jetzt war ich wieder wach, ich hab aber eh über mich lachen müssen. Ich, der Orientierungsläufer. Der nachtkampftaugliche Supersoldat. Lusche …

 

Noch 1 km, ich höre bereits die Lautsprecher. Ein paar Gehsteige am Stadtrand, ein Kreisverkehr, dann bin ich vor den letzten 50 Metern. Ich bin im Moment der einzige Finisher hier. Ein blauer Teppich bis ins Ziel, Musik, der Moderator kündigt mich an, an den Absperrgittern Zuschauer. Viele Zuschauer, die Siegerehrung findet in ca. 30 Minuten statt. „Gutes Timing“, denk ich mir, gehe weiter. Abklatschen am Gitter entlang, auch der Schlapfen-Ami zollt Tribut.

 Die letzten 15 Meter laufe ich, nur für die Show. Der Moderator überschlägt sich, ich bleibe unmittelbar vor der Ziellinie abrupt stehen, der Moderator stottert, schaut mich verwirrt an, ich putze mir symbolisch am Teppich die Schuhe ab und springe mit nach oben gerissenen Armen über die Ziellinie. Der Lacher im Publikum war auf meiner Seite.

 Ein Girl hängt mir die Medaille um und küsst mich auf die Wangen. Selber schuld. Handshake mit dem Moderator, der jetzt auch lachen muss, er erntet ein breites Grinsen von mir.

Ich verlasse den Zielbogen, dahinter ist gleich die Ziel-Labe. Ein Helfer nimmt mich bei der Schulter und präsentiert mir in seiner unverständlichen Sprache alle seine Schätze. Schön. Ich blicke ihm fest in die Augen und zeige wortlos auf den Bierstand 15 m dahinter. Alles klar?

 Ich bin zufrieden. Nicht aufgekratzt, nicht fertig, nicht euphorisch, einfach nur zufrieden. Ganz tief. Ich schnappe mir den Becher Bier und setze mich leicht abseits auf eine unbesetzte Bank, lehne mich gegen den Zaun und nehme einen tiefen Schluck. Boah, das fährt …

 Ich genieße die Stimmung, krame nach einem Riegel in meinem Rucksack herum, hole mir die Tasche, die ich in BUZET hatte. Das gehen is jetzt schon a wengl mühsam, aber ich muss noch knapp 2 km ins Quartier. Das wird weh tun.

 

Die Siegerehrung ist in Gange, ich beginne zu verhärten, daher beschließe ich, hier das Lager abzubrechen und ins Quartier zu gehen.

 Da kommt mir nach keinen 100 m ein Taxibus gerade recht. Ich klopfe an die Scheibe, zeige ihm die Adresse (die ich mir vorsorglich auf die Rückseite des Streckenprofiles geschrieben habe). Er nickt, steigt aus und öffnet die Schiebetüre. Ich mit Sack und Pack, dreckig und stinkig, rein.

 „Ja, deine Ledersitze tut mir leid, Nein, die Taschen kommen jetzt nicht mehr hinten rein, Ja, es sind nur 1,5 km, JETZT FAHR ENDLICH!“

 

Im Apartment wollte ich eigentlich nur alles fallen lassen, duschen gehen, mich auf’s Bett legen und kurz die Füße hoch lagern, dann essen gehen, ich war mächtig hungrig. Das war der Plan.

 4 Stunden später erwachte ich, leicht dessorientiert. Boahh, hart wie ein Brett und recht von der Rolle.

Geschmeidig wie eine Kartoffel hüpfte ich ins Gewand und wutzelte rüber zum Restaurant. Da hatten sie endlich das auf der Strecke so oft bestellte Steak, rießig, medium, mit gegrilltem Gemüse.

 

Die Nacht war unruhig, aber trotzdem erholsam, der nächste Tag war geprägt von der Rückreise und einer sensationellen Regenerationsbehandlung aus den familiären Reihen. 2-3 Tage hatte ich noch mit den Blasen zu kämpfen, aber erstaunlicherweise nicht mit anderen Problemen, weder muskulär noch im Bewegungsaparat.

 

Und jetzt, über eine Woche nach diesem Mega-Spektakel, knall ich mir schon wieder die Laufeinheiten rein.

Weil das nächste Abenteuer wartet nicht ….

 

Tom